DAS INTERNATIONALE TROTZKISTISCHE KOMITEE
ZUR POLITISCHEN REGENERIERUNG DER VIERTEN INTERNATIONALEN
STOP DEM KRIEGSMARSCH DER IMPERIALISTEN
NEIN ZUM KRIEG UM DIE KONTROLLE DER UKRAINE
NEIN ZUM KRIEG ZWISCHEN NATO UND RUSSLAND
FÜR EINE FREIE UND UNABHÄNGIGE UKRAINE – NEIN ZUR NATO-ÜBERNAHME UND NEIN ZUR RUSSISCHEN INVASION
Ob im Osten oder Westeb – Der eigentliche Feind ist unsere herrschende Klasse
Nur revolutionäre Kampf der Arbeiter und Unterdrücktenkann den Kriegstrieb der Imperialisten stoppen!
Grenzen für Flüchtlinge und Migranten öffnen!
Aufhebung der Sanktionen, die Afghanistan zerstören!
Liga Revolutionärer Arbeiter (USA) – Liga Revolutionärer Internationaler (GB)
Revolutionäre, sozialistische und progressive Bewegungen weltweit müssen jetzt gegen die doppelte Gefahr einer russischen Invasion in der Ukraine und einer Mobilisierung gegen Russland von Seiten der USA und NATO agieren. Der Konflikt zwischen den imperialistischen Großmächten hat sich nun äußerst gefährlich zugespitzt, und damit auch die Gefahr eines Krieges zwischen den Mächten.
In den vergangenen sechs Monaten hat sich der Konflikt immer weiter über die jahrzehntelangen Stellvertreterkriege hinaus entwickelt, die immer noch den „Großraum Mittlerer Osten“ von Lybien bis Afghanistan, verwüsten. Er bewegt sich immer weiter Richtung einer direkten militärischen Konfrontation zwischen den USA mit ihren NATO und G7 Allierten, und dem China und Russland-Block, der auch den Iran und die Nationen Zentralasiens miteinbezieht.
Während der letzten sechs Monate, beginnend mit dem Fiasco des Rückzugs der USA aus Afganistan, hat sich das Gleichgewicht der Macht zwischen diesen Rivalen zu Gunsten der China – Russland Achse verschoben. Die USA und NATO haben darauf infolgedessen mit stets aggressiveren Maßnahmen reagiert. Die chinesiche und die russische Regierung sehen diese Situation als eine Möglichkeit, um ihre geopolitische Position zu stärken, insbesondere durch eine Störung zwischen den „Westmächten“. US-Führungkräfte sehen dies als eine Möglichkeit, um ihre Autorität in der NATO wiederherzustellen– und aus dieser Sichtweise, scheint die USA zynischerweise Putins Invasion der Ukraine als strategischen Vorteil für sich zu sehen, und dies jeglichen Konzessionen gegen Russland vorzuziehen.
Auf beiden Seiten ist die aktuelle Ukraine-Krise Teil einer größeren Strategie. Auf unmittelbarer Ebene ist es ein Kampf zwischen den NATO-Mächten und Russland, um die Vorherrschaft Osteuropas. Die zentrale Frage in diesem Konflikt zwischen diesen Imperialisten ist jedoch der immer intensiver werdende Wettstreit zwischen den USA, die immer noch fürs weitere die größte Wirtschaftsmacht der Welt sind mit der reichsten jedoch sich spaltenden und abnehmenden Führungsklasse, und China, das die zweitgrößte und am schnellsten wachsende Wirtschaft der Welt ist und der größte Exporteur von Industriegütern.
Im vergangenen Monat hat Russland an der Grenze zur Ukraine mit Waffen und Truppen aufgerüstet, und die NATO hat mehr Militär und Raketen in ihren östlichen Mitgliedsländern näher zu Russland positioniert, während Interessenskonflikte zwischen den westlichen Mächten offensichtlicher geworden sind. In diesem Kontext haben Russland und China ihre gemeinsamen Interessen und Ziele bekannt gegeben. Nach dem Treffen zwischen Präsident Xi und Putin in Beijing (zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele – ein äußerst prestigeträchtiges Projekt für Xis globale Ambitionen) haben die beiden Regierungen eine Stellungnahme veröffentlicht, das sich wohl bestens als Plan für eine neue Weltordnung unter der Führung Chinas beschreiben lässt. [1] Russland versicherte Kriegsambitionen Chinas zu unterstützen (in Taiwan und den Rückschlag der militärischen und Marine-Vorhaben der USA im Asien-Pazifik) und China versicherte Russland Unterstützung in der Ukraine und beim Widerstand im Falle einer NATO-Expansion. Beide versicherten jeglichen „Farbrevolutionen“ (eine Bezeichnung für Volksproteste, die als vom Westen unterstützt gelten, gegen autoritäre Regimes in Teilen der Ex-Sowjetunion, z. B. die Orange Revolution in der Ukraine oder die Rosenrevolution in Georgien) Widerstand zu gebieten.
Beide verpflichten sich auch die „praktische Zusammenarbeit für eine nachhaltige Entwicklung der Arktis zu intensivieren“ und der „Entwicklung und Nutzung Arktischer Routen“. Somit verpflichten sie sich natürlich in eine anhaltende Klimakrise zu investieren. Die Wortwahl „nachhaltig“ soll dabei bloß den Schein wahren, und ist so leer wie das Gebet „Gott, mach mich rein, aber noch nicht jetzt“. Mit dieser Erklärung kommen sie der Heuchlerei der Westmächte gleich, die „Netto-Null-Emissionen“ versprechen und gleichzeitig neue Kohlminen und Olfelder öffnen. Sie ist ebenso zynisch wie der IWF (Internationaler Währungsfonds), der China für eine weiterführende „Zero Covid“- Strategie missbilligte, da dies schlecht für die Wirtschaft sei. [2]
Unabhängig davon, ob oder wann ein Krieg in der Ukraine ausbricht, erfüllt diese Konfrontation breit ihren Zweck für Russland und China, indem sie weiterhin eine Machtverlagerung der imperialistischen – und eine schärfere Spaltung der NATO-Mächte verursacht. Und dies macht die drohende Gefahr eines Dritten Weltkrieges sehr viel reeller und bringt sie immer näher.
Die Welt befindet sich immer tiefer in einer Krise, welche doch sehr derjenigen von Leon Trotzki im Jahre 1938 beschrieben, ähnelt:
Unter dem wachsenden Druck des kapitalistischen Niedergangs haben die imperialistischen Widersprüche die Grenze erreicht, jenseits derer die einzelnen Konflikte und blutigen Explosionen … unausweichlich in einem Weltbrand münden.
L D Trotsky, Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale (Das Übergangsprogramm).
Zunehmende Spannungen in Osteuropa
Mehr als hunderttausend russische Soldaten samt Aufrüstung und militärischen Einrichtungen dazugehörend auch Atomraketen, wurden in den letzten Monaten des Jahres 2021 und im Januar 2022 entlang der Grenze mit der Ukraine stationiert.
Zur selben Zeit begann Russland die Erdgasversorgung für die EU (Europäische Union) zu verringern, zeitweise sogar komplett abzustellen. Währenddessen versicherten die USA weiterhin, die Ukraine mit Waffen zu versorgen, und drohte mit Wirtschaftssanktionen, sollte Russland in die Ukraine eindringen.
Eine Reihe von Treffen zwischen den Westmächten und Russland in der zweiten Januarwoche führte nur in eine Sackgasse/endete in einer Sackgasse.
Bereits bevor die Gespräche beendet wurden, begann Putin schon mehr Heereseinheiten und Rüstung aus dem Föderationskreis Ferner Osten zu entfernen.
Viele davon befinden sich jetzt in Belarus (Weißrussland), wo sie zusammen mit der weißrussischen Armee „Übungen“ an der Grenze mit der Ukraine ausführen.
Für fast drei Jahrzehnte lang konnte Präsident Lukaschenkos autoritäres postsowjetisches Regime in Belarus, das zwischen Polen und Russland liegt, ein wohl scharfsinniges Gleichgewicht zwischen der EU und Russland beibehalten, basierend auf der Unterstützung der Arbeiter in der Schwerindustrie, welche die Regierung unter Staatsbesitz behielt – im Unterschied zu den Regierungen in anderes postsowjetischen und osteuropäischen Ländern.
Diese Arbeiter jedoch schlossen sich im August 2020 einem politischen Großstreik gegen die Regierung an, dabei wurden sie zur stärksten Kraft im Protest, der das Regime nach einer geschmierten Wahl und der falschen Handhabung der Pandemie erschütterte. Lukaschenko musste sich auf Russlands Hilfe stützen, um an der Macht zu bleiben, und sein äußerst repressives Regime dient als Putins Marionette und Belarus wird somit zur potenziellen Startrampe für eine russische Invasion im Westen der Ukraine.
Im Januar dieses Jahres stärkte Putin seine regionale Autorität noch weiter, indem er Truppen in ein weiteres ex-sowjetisches Land schickte, um dort ein autoritäres kapitalistisches Regime gegen einen Arbeiteraufstand zu schützen/zu bewahren – diesmal war es Kasachstan, reich an Mineralen und Erdöl, ein Land, das bis zu 40 % des weltweiten Urans produziert. Die Sozialistische Bewegung Kasachstans berichtete, dass Streiks und Proteste ausbrachen, nachdem die Regierung Benzinpreise verdoppelte. Diese Aufstände entwickelten sich als Anti-Regierungsstreiks und Proteste in den Städten und quer durch die Rohstoffindustrien, die die Eckpfeiler der kasachischen Wirtschaft bilden. [3]
Die Intervention durch Russland zerbrach die Streiks und Proteste und erlaubte Putin somit eine Einigung der Rivalitäten in der Führungselite zu schaffen.
Seinen Eingriff in Kasachstan nutzte Putin somit als Gelegenheit, die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) zwischen Russland, Kasachstan und vier weiteren ex-sowjetischen Republiken (Armenien, Belarus, Kirgisistan und Tadschikistan) wiederherzustellen. Zwar benötigte er ihre Hilfe in Kasachstan nicht aus militärischen Gründen, aber durch seine Machtschau dort in Belarus und an der ukrainischen Grenze, um die OVKS wiederzubeleben, war ein weiterer Schritt zur Vollendung seiner breiteren Vision; eine Vision, die er mit seinen Kollegen der russischen Oligarchie teilt. Genauso wie die Aufspaltung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) ein Mechanismus dafür war, den Kapitalismus in Russland wiederherzustellen, so muss das kapitalistische Russland nun die Kontrolle dieser ex-sowjetischen Gebiete erringen, um seine imperialistischen Bestrebungen zu erreichen.
Diese Bestrebungen bringen Russland in Konflikt mit den imperialistischen Mächten des Westens. Kontrolle über die Ukraine steht nicht nur auf der Wunschliste Putins oder der NATO; es ist notwendig, für ein imperialistisches Russland das Land zu kontrollieren oder zumindest zu verhindern, dass die westlichen Mächte es kontrollieren (was letzten Endes aufs Gleiche hinauskommt). Es ist ebenso notwendig für das Vorhaben der USA und NATO, die Weltmacht Amerikas beizubehalten und den russischen und chinesischen Bestrebungen entgegenzuwirken/konterkarieren. Geografie, kapitalistische Wirtschaften und Geschichte, die diese Länder geformt haben, verursachen dies.
Die gleichen Faktoren haben auch China und Russland zu einem imperialistischen Block zusammengeführt. Beide brauchen diesen Block, um stark und vereint zu sein. Und so, als die Außenminister der USA und Russland am 21. Januar 2021 Gespräche in Genf führten (jedoch ohne Ergebnisse), führten gleichzeitig die russische, chinesische und iranische Marine gemeinsam Übungen im Indischen Ozean aus, und China festigte seine Abkommen zur militärischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Iran.
Allerdings ist Russlands kapitalistische und imperialistische Entwicklung ganz klar der Chinesischen unterlegen, und deshalb ist seine Machtdurchsetzung in Europa für Russland notwendig, um einen Machtausgleich mit China in ihrem Bündnis zu schaffen.
Die Aufteilung der Welt: Dichtung und Wahrheit
Politiker des Westens und deren Partner in den Medien verkünden ihre Verteidigung der Freiheit, Demokratie und der nationalen Unabhängigkeit der Ukraine gegen eine russische Diktatur. Ihre Behauptungen sind nichts als heuchlerische Dichtung. Mit Demokratie und nationaler Unabhängigkeit der Ukraine meinen sie eigentlich, dass die Ukraine ein Wall für die westlichen Mächte gegen eine Expansion Russlands sein soll. Mit Freiheit meinen sie eigentlich, dass EU- und US-Konzerne (und nicht russische und chinesische) die Freiheit haben sollten, die Reichtümer und Menschen der Ukraine auszubeuten.
Diese Fiktionen stellen die Heuchelei der herrschenden Schichten und Politiker des Westens bloß, die sich eigentlich nie in keiner Weise um die Unabhängigkeit der Völker und Staaten, die sie erobert haben und immer noch ausbeuten, gesorgt haben. Woher nimmt sich Präsident Biden das Recht von Demokratie zu sprechen, wenn es sogar heute noch in den USA unmöglich ist, ebenbürtige Wahlrechte zu versichern, wenn die Polizei in Amerika fast immer mit dem Mord an der schwarzen und Latino Bevölkerung davonkommt, und wenn er im Großen und Ganzen die rassistische und gegen Einwanderer gerichtete Politik Trumps beibehalten hat? Woher nimmt sich Premierminister Johnson das Recht, von Freiheit und Demokratie zu sprechen, wenn er doch das Wahlrecht untergräbt und einschränkt, das recht auf Asyl und Menschenrechte in Großbritannien vernichtet und das Recht zu Protestieren abschafft?
Und auf die selbe Art, wie im Folgenden erklärt wird, ist Putins Geschwätz von einer „historischen Vereinigung“ Russlands mit der Ukraine als „ein Volk“ eine Wiederbelebung einer historischen Fiktion, um eine Unterwerfung der Ukraine und die Kontrolle des Landes, der Industrie, der Erdöl und Gasleitungen und der Häfen im Schwarzen Meer zu rechtfertigen.
Nein, dies sind weder Konflikte zwischen Demokratie und Diktatur, wie es die Regierungen des Westens behaupten, noch sind dies Kämpfe der „entwickelnden“ Länder gegen die alten vorherrschenden, wie es die chinesische Regierung und deren Befürworter erzählen. Die herrschenden Klassen der konkurrierenden imperialistischen Mächte befinden sich in einem Kampf gegeneinander. Das Ziel beider Seiten ist ein und dasselbe: die Sicherung und Erweiterung – auf Kosten ihrer Rivalen, der Provinzen und Bevölkerungen einer endlichen Welt, die sie im Stande sind auszubeuten. Es ist ein Kampf um die Vorherrschaft in der kapitalistischen Weltwirtschaft; um es in Lenins Worten zu sagen, ein Kampf,
… um die Aufteilung der Welt, um die Verteilung und Neuverteilung der Kolonien, der
“Einflußsphären” des Finanzkapitals usw.
V. I. Lenin, 1920, Vorwort zur französichen und deutschen Ausgabe, Der Imperialisumn als höchstes Stadium des Kapitalismus (1916).
Der gegenwärtige Konflikt ist eine Weiterführung von Konflikten, die seit dem Aufstieg des kapitalistischen Imperialismus, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die kapitalistische Weltwirtschaft dominiert, die Welt plagen. Der Zusammenhang und die Ursache für den derzeitigen eskalierenden Konflikt ist eine zunehmend instabile Weltwirtschaft, in welcher die Konzentrierung von Kapital und die schmarotzerische Domination wirtschaftlichen Lebens durch Finanzkapital ungeheure Proportionen erreicht haben, wo Armut und Ungerechtigkeit ständig steigen, gemeinsam mit Verschuldung und Protektionismus und wo Investments versauern.
Während Russland und China ganz sicher von brutalen Diktaturen regiert werden, ist Demokratie auf internationaler Ebene unter Beschuss; autoritäre Regimes berufen sich auf Rassismus, ethnischen oder religiösen Nationalismus, und der Faschismus ist wieder erwacht – in den USA, Indien, Großbritannien, Frankreich, Italien, Brasilien usw.
Die Opfer des Konflikts sind die Armen und Unterdrückten der Welt: die Arbeiterklasse, die sich durchbeißende Mittelklasse, die verarmten neokolonialen Länder, Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten und die Millionen, die gezwungen sind, aus ihrer Heimat aufgrund von Krieg, Verfolgung, Armut, Hunger und des Klimawandels zu flüchten. Im Streit zwischen den zwei imperialistischen Allianzen gibt es keine progressive Seite. Kein „Sieg“, weder auf der einen noch der anderen Seite könnte die Befreiung der ausgebeuteten Völker der Menschheit voranbringen.
Afghanistan: die Wende
Im vergangenen August kam der kritische Wendepunkt im Zug zu einer unmittelbareren und gefährlichen militärischen Auseinandersetzung zwischen den konkurrierenden imperialistischen Blöcken, als sich die USA aus dem Afghanistan zurückzog, und mit ihr natürlich auch die viel kleineren Truppen der Alliierten. Für 43 Jahre lebten, leiteten und starben die Menschen des Afghanistan auf einem Schlachtfeld zwischen rivalisierenden Großmächten. 1979 drang die Sowjetunion ins Land ein, um eine pro-sowjetische Regierung nach dem Sturz der Monarchie zu etablieren. Die USA (und Saudi-Arabien) unterstützten islamistische Guerilla Truppen in einem anhaltenden Krieg, der letztendlich zum Rückzug der Sowjetunion führte und auch zu deren Zerfall im Jahre 1991 und somit zur Wiederherstellung des Kapitalismus in Russland, Osteuropa und Zentralasien beitrug.
Afghanistan ließ man unter der Herrschaft von rivalisierenden Kriegsfürsten, dann folgte die Herrschaft der Taliban, bis dann 2001, nach dem Angriff der al-Qaida auf New York und Washington, die USA und ihre Alliierten einmarschierten. Die al-Qaida und andere aus ihr hervorgebrachten Organisationen (ISIS, Daesch, usw.), sind das Produkt der von den USA und Saudi-Arabien geförderten islamistischen Gruppen im Afghanistan.
Die von den USA geführte Besatzung hat nichts und konnte nichts lösen. Durch die Abwesenheit eines „Sieges“ und den kontinuierlichen Verlust amerikanischer Soldaten erschien das Ganze sinnlos, sogar für die rassistischen und nationalistischen Anhänger Donald Trumps (natürlich erbrachten die Afghanen bei Weitem den höchsten Blutzoll). Während Trump 2020 für seine Wiederwahl kämpfte, verhandelten die USA mit den Taliban ein Übereinkommen für einen Rückzug, und Präsident Biden verpflichtete sich dessen Durchführung.
Die US-Regierung und ihr Militär kauften den Taliban wohl kaum ab, dass sie „pragmatisch“ seien und moderater und nicht so brutal. Sie stimmten zynischerweise zu, das Land den Taliban zu übergeben, weil es politisch für sie geeignet war.
Falls US-Führungskräfte glaubten, dass dies eine ruhige und ordentliche Übergabe sein könnte, oder sie hofften noch weiterhin Einfluss in Afghanistan beizubehalten, haben sie sich wohl schlimm geirrt. Die Taliban wussten, dass sie jegliche Herausforderer eliminieren mussten, indem sie dem Volk ihre Herrschaft auferlegten, vor allem in Städten, die von den USA unterstützte afghanische Armee demoralisierten und auflösten, und indem sie die Regierung, von den USA gefördert, abschossen, noch bevor amerikanische Truppen das Land verließen. Außerdem waren die Taliban schon am verhandeln mit China: sie würden die sehr unterdrückte und verfolgte muslimische Uighir Bevölkerung im Westen Chinas ihrem Schicksal zu überlassen, und im Gegenzug gäbe China ihnen Rüuckhalt. Als Ergebnis sahen wir einen hastigen und chaotischen Rückzug der US und Allierten im August, inmitten einer rasanten Übernahme des gesamten Landes durch die Taliban.
Afghanistan ist nun unter festem Einfluss Chinas, was wiederum Chinas Rolle im Pakistan und Iran gefestigt hat. Die Macht Chinas reicht jetzt bis zu den Golfstaaten, die reich an Erdöl sind.
Die Taliban sehen ihre Abwendung von den Uiguren als den Preis für ihren Sieg. Im Gegensatz zu den bewaffneten islamistischen Gruppen wie al-Qaida und ISIS, die von einem globalen Kalifat träumen, sind die Taliban in erster Linie afghanische (prinzipiell paschtunische) Nationalislamisten mit engen Kontakten zum pakistanischen Militärgeheimdienst. Die muslimische Theokratie der Schia im Iran hat sich ähnlich verhalten. Sie verwendet Shia-Islam als politische Waffe zusammen mit militärischen Interventionen im Irak, Syrien und im Libanon, aber ignoriert die Verfolgung der schiitischen Hazara-Bevölkerung durch die Taliban im Afghanistan. Das ist der Preis, den die iranische Führung bereit ist zu zahlen, für Unterstützung vonseiten Russlands und Chinas gegen die USA, Israel und Saudi-Arabien. Als Bonus kann der Iran nun sein Erdöl an die Taliban verkaufen.
Die USA und seine Alliierten haben somit nicht nur die Menschen, die sie in Afghanistan beschäftigt hatten, im Stich gelassen, sondern auch all jene, denen sie scheinfromm, mehr Freiheit und Möglichkeiten versprochen hatten: Frauen, religiöse Minderheiten und Jugend. Und was noch viel schlimmer ist: Sie setzten Sanktionen auf Afghanistan, ein Schachzug gegen die Taliban, wie sie sagen, denen sie aber ja die Macht über das Land überlassen hatten. Eigentlich sind diese Einschränkungen gegen China gerichtet, was ja letztendliche neue dominante Macht im Land ist. China auf der anderen Seite hat gar nichts Besseres geleistet.
Das Ergebnis ist ein furchtbares humanitäres Desaster: 90 % der Afghanen haben nicht genug zum Essen; Hungertod, massive Unterernährung bei Kindern, kein Bargeld, keine medizinischen Vorräte. Und jene Afghanen, die es in NATO Länder geschafft haben, leben gerade die unmenschliche Realität als Asylbewerber bei rassistischen Regierungen.
Das Schicksal Afghanistans ist den Menschen der Ukraine und weltweit eindüsterer Vorbote Ferdi unmenschliche Bigotterie, die ALLEN imperialistischen Herrschern innewohnt.
Die Ereignisse, die sich letztes Jahr in Afghanistan zugetragen haben, zeigen mit Bezug auf internationalen Beziehungen eine gewaltige Veränderung der Machtaufteilung auf nicht nur auf regionaler, aber auch auf globaler Ebene wegen der bedeutenden darin verwickelten Mächte und wegen der strategischen Bedeutung der Region. Und diese Veränderung ist noch viel hochgradiger wegen der Wirkung auf die Beziehung der USA mit ihren Alliierten, besonders ihren europäischen Alliierten.
Viele Verbündete der USA, insbesondere Frankreich und andere westeuropäische Länder, zweifelten ganz offen nach Trumps Regierung, ob sie sich auf amerikanische Unterstützung verlassen könnten. Diese Zweifel wurden mit dem faschistischen Versuch, den US-Kongress zu übernehmen, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl umzustürzen und damit die Trump-Bewegung zu stärken (am 6. Januar 2021) noch verstärkt. Das Aghanistan-Debakel erschütterte dann das Vertrauen der Alliierten in die USA noch weiter.
China und Russland entschieden, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um ihren Vorsprung zu behaupten. Die USA und ihre Verbündeten wollen dringend ihre Macht wiederherstellen, sind sich aber nicht darüber einig, wie sie das anstellen.
US- Manöver im Fernen Osten und die Erwiderung Chinas
Innerhalb weniger Wochen nach ihrem Aufbruch aus Afghanistan, also im September, versuchten die US-Imperialisten ihre Macht gegenüber China im Fernen Osten/ in der Pazifikregion erneut durchzusetzen. Sie kündigten fast zeitgleich den AUKUS Pakt und die Wiederbelebung des „Quad“( quatrilateraler Sicherheitsdialog). Im AUKUS Pakt mit Australien und Großbritannien stimmten die USA zu, ihre Technologie zum Bauen von Atombetriebenen Submarinen mit Australien zu teilen. Australien seinerseits brach seinen Vertrag mit Frankreich, dessen Diesel-Submarine zu kaufen. Atombetriebene Submarine können viel längere Zeit auf und unter Wasser bleiben, und die gesamte Flotte wäre dann unter US-Kontrolle. Die amerikanische Regierung will diese Flotte permanent in den Wassern nahe China präsent haben.
In nur einem Zug drohte Biden somit China und belastete die Beziehungen zu seinem NATO- und G-7 verbündeten Frankreich.
Die Wiederherstellung des „Quad“ (USA, Australien, Japan und Indien) ist mehr als alles andere ein Versuch, Indien enger in einen Anti-China-Block einzufangen, als Erwiderung auf Chinas Machterweiterung in Afghanistan, Pakistan und Sri Lanka.
Darauf lieferte China rasch eine dramatische Demonstration ihrer wachsenden Macht und technischen Vorsprungs. Sie hatte ja bereits ihre Rhetorik und aggressiven Taktiken angekurbelt, jegliche Überreste von Demokratie und Autonomie in Hongkong ausgemerzt und ihre Drohungen auf Taiwan, die Insel, die sie behauptet, rechtmäßig zu China gehöre, verschärft. [4 ] Im Oktober und November sandte China mehrfach Luftwaffenabteilungen in den Flugraum um Taiwan aus, manchmal sogar tagelang und manche Abteilungen bis zu 150 Flieger stark, darunter Fluggeräte verschiedenster Funktionen, auch Atombomber.
Diese Schau der Flugmacht war primär für die USA und Taiwan bestimmt, aber Chinas Botschaft richtete sich auch an US-alliierte Japan und Südkorea, ihre südostasiatischen Nachbarn sowie Indien, das eine Reihe von militärischen Zusammenstößen mit China (manche davon tödlich) in den umstrittenen Gebirgsregionen entlang der nördlichen Grenze hatte.
Das Ganze fand bevor und während der UN Klimakonferenz in Glasgow statt und überschattete die Tagungsgeschehnisse. Weder Xi noch Putin wohnten der Konferenz bei.
Der Konflikt erreicht Europa: Russland, die Ukraine und die NATO
Die Wurzeln des jetzigen Russland-Ukraine-Konflikts liegen in den Ereignissen Osteuropas vor 40 Jahren. 1989/1990 zerbrachen die sowjetischen Regime in Osteuropa, die von der Sowjetunion unterstützte DDR wurde von der kapitalistischen BRD übernommen (offiziell, sagt man, sie wurden „vereint“). 1991 zerfiel dann die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR). Der Kapitalismus wurde in all den Ländern wiederhergestellt, oft durch „ursprüngliche Akkumulation“ (das Erlangen von Vermögen auf eine oder andere Weise, um kapitalistische Produktion anzukurbeln). In Russland wurden sowjetische Bürokraten und Direktoren zu Kleptokraten, indem sie eifrig staatliche Wirtschaftspläne mitsamt der staatlichen Kontrolle des Außenhandels zerstörten Besitztümer an sich rissen und die zerfallende Wirtschaft plünderten. Die äußerst Habgierigen wurden zu Oligarchen. Ehemalige Chefs der Kommunistischen Partei nutzten ihre Autorität, sich zu Unternehmensmogulen oder gar Präsidenten umzufunktionieren (wie Putin in Russland und Lukaschenko in Belarus), dabei zerdrückten sie den Widerstand und schafften sie wohlhabende Dynastien. Währenddessen nahmen Armut, Ungerechtigkeit und Krankheit zu und Lebenserwartung ab.
Trotz der überragenden Größe Russlands hatten seine Staatsführer während der 90er wenig Erfolg damit, Herrschaft über ex-sowjetische Länder auszuüben, auch wenn die meisten sich Russland in der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ anschlossen. Die Imperialisten des Westens nutzten rasch den schwachen, chaotischen Zustand der Russichen Föderation aus, um zunächst Polen und dann von Estland im Norden bis nach Bulgarien im Süden einen baltischen Staat nach dem anderen (alle ehemalige Satellitenstaaten der Sowjetunion) für die NATO anzuwerben. Nach dem Beitritt zur NATO folgte dann bald EU-Mitgliedschaft. So wurden NATO und EU bis an die russische Grenze in Estland, Lettland und Litauen sowie weiter südlich an die Grenze zu Belarus und der Ukraine erweiter.
Das russische Regime, durch eine stärkere Wirtschaft dank steigender Erdöl und Erdgaspreise versucht diesen Prozess zu stoppen und anzuhalten – ganz besonders seit Putin 1999 an die Macht kam. Russlands Kontrolle der Ukraine wiederherzustellen ist ein zentrales Element dieses Vornehmens. Dies führte 2014 zu einer direkten Intervention Russlands als Antwort auf Proteste, die zur Beseitigung des von Russland unterstützten Präsidenten Yanukovich führten.
Russische Truppen sicherten dabei am Schwarzen Meer die strategisch wichtige Halbinsel Krim, welche zur Mehrheit Russisch ist und erst seit 1954 der Ukraine angehört. Gleichzeitig errichteten russische Separatisten um die Städte Donezk und Lugansk (im Osten der Ukraine an der Grenze zu Russland) zwei Sezessionsgebiete. Seither gab es hauptsächlich mit diesen Regionen einen kontinuierlichen Konflikt, wobei Tausende von ukrainischen Soldaten umgebracht wurden, außerdem kam es periodisch zu Aufbietungen vonseiten Russlands an der ukrainischen Grenze.
Die Ukraine ist für die wirtschaftliche, politische und militärische Macht russischer Herrscher ausschlaggebend – sie ist eine landwirtschaftlich und industriell wichtige Region, hat Häfen am Schwarzen Meer mit Zugang zum Mittelmeer, und ihre geografische Lage macht es zu einer wichtigen Verbindung mit nur wenigen natürlichen Grenzen zwischen Ost und West.
Für die Westmächte ist das Land aus vielen derselben Gründe wichtig, jedoch mit signifikanten Abweichungen. Das Hauptanliegen der USA liegt darin, die wachsende Macht Russlands einzugrenzen, was auch für Polen und die baltischen Staaten gilt; für andere EU-Länder, insbesondere Deutschland geht es um Wirtschaft, – sowohl um die Handels– als auch die Investmentmöglichkeiten in der Ukraine und um die Bedeutung den ihr Zugang zur weitaus stärkeren Wirtschaft Russlands. Daher haben Deutschland und Frankreich den gelegentlichen Vorschlag der USA, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, abgeblockt.
Putin will diese Unstimmigkeiten zusammen mit den Zweifeln und Spaltungen unter den NATO-Ländern um die Rolle und Zukunft der USA zu seinem Vorteil nutzen.
Er hatte dabei etwas Erfolg: Deutschland schickt medizinische Vorräte, aber keine Waffen in die Ukraine; Vertreter der deutschen und französischen Regierungen streben eine „europäische Lösung“ der Krise an, wobei sie sich regelmäßig mit Vertretern der Ukraine und Russlands treffen durch ein in 2014 eingerichtetes Verfahren.
Die wichtigsten Faktoren in der gegenwärtigen Phase des Kampfes „… um die Aufteilung der Welt, um die Verteilung und Neuverteilung der Kolonien der ‚Einflusssphären‘“sind 1) Russlands Rolle als Westeuropas Hauptversorger für Erdöl und -gas und 2) wie bereits erwähnt, Russlands immer enger werdende Beziehung zu China. Diese haben Russlands Macht bedeutend verstärkt, auch im Sinne von staatlichen Finanzmitteln.
Russlands Rolle als Hauptexporteur von Erdöl und – gas ist bedeutender geworden, zum Großteil, da durch die Klimaerwärmung Quellen in der Arktis leichter zugänglich werden. Es ist ein bedeutender Energieversorger für Europa und genauso für China. Zudem benötigt China die Zusammenarbeit mit Russland, um die Landwege des chinesischen Projekts für eine neue Seidenstraße nach Europa zu verwirklichen.
Russland liefert fast die Hälfte des Erdgasbestandes der EU und ein Viertel ihres Erdöls. Das meiste erreicht den Westen über Pipelines, die durch die Ukraine gehen und die für regelmäßiges Einkommen gesorgt haben. Russland hat vermehrt Druck auf die Ukraine mit dem Bau einer alternativen South Stream Pipeline unter dem Schwarzen Meer nach Bulgarien und von dort über Serbien nach Mitteleuropa ausgeübt. Wie bereits angemerkt, hat Russland seit dem Herbst Europa mit der Reduzierung und manchmal gar Lahmlegung des Erdgasflusses unter Druck gesetzt, was wiederum Energiepreise hebt.
Die Elite-Oligarchie Russlands plant Machthaber einer führenden Imperialmacht zu sein, eng zusammenarbeitend mit den Machthabern Chinas. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie die Ukraine in ihren Einflussbereich einfügen und es verhindern, dass sie unter NATO – oder EU-Herrschaft gerät. Dadurch unterscheiden sich die Herrscher Russlands und Chinas keineswegs von den Gewalthabern früherer Imperialmächte, welche sie ja ersetzen wollen.
Präsident Biden hat ganz klar erklärt, dass die USA und NATO keine Truppen in die Ukraine schicken werden, um gegen die russische Invasion zu kämpfen, sondern schwere wirtschaftliche, finanzielle und Reise-Sanktionen verhängen, sollte Russland eindringen. Darauf wird Russland wahrscheinlich Erdgas und Erdölzufuhr komplett stilllegen. Mittel- und Westeuropa werden davon am unmittelbarsten betroffen sein.
Aber US/NATO Maßnahmen hören damit nicht auf. US Imperialismus hat die Menge und Qualität der Waffen und der militärischen Vorbereitung der ukrainischen Armee über Jahre nun gesteigert; es liegt in ihrem Interesse, dass diese Armee die russische Belagerung so lange wie möglich bekämpft – Seite an Seite mit den Milizen, die für Guerillakämpfe vorbereitet werden.
Wie bereits erklärt wurde, haben die USA, Großbritannien und andere NATO Länder mit der wachsenden Bedrohung einer russischen Invasion weiterhin Waffen in die Ukraine geschickt; ein Großteil davon scheinen Schutzwaffen für den Nahkampf zu sein, für kleinere motorisierte Einheiten geeignet. Damit will man eindringende russische Truppen blockieren, um so mehr inländische Probleme für Putin zu schaffen.
Gleichzeitig verlegt die NATO mehr Truppen, Aufrüstung und Atomraketen nach den baltischen Staaten, Polen und anderen bei Russland und der Ukraine liegenden NATO-Ländern.
Diese Strategie, falls beibehalten, wird zur Eskalation führen. Russland würde sicher mit Aktion über die Ukraine hinaus erwidern, China würde die Probleme der Westmächte nutzen und im Asien-Pazifik eingreifen, wahrscheinlich durch Angriffe zur Annexion Taiwans.
Und dies ist die Gefahr, dass diese Konflikte “unausweichlich in einem Weltbrand münden“.
Die nationale Frage in der Ukraine
Die derzeitige Situation der Ukraine ist eine spezielle Art der Erfahrung, welche alle ex-sowjetischen Länder teilen. Jene, die seit den 1990ern der NATO und EU angehören, im Sinne der “Aufteilung [und] Verteilung … der ‚Einflusssphären‘“, haben sich unter die Flügel einer imperialistischen Seite gestellt zum Schutz gegen die andere, von der sie bis dahin beherrscht wurden (Russland). Belarus und die Ukraine bilden die Ausnahme.
Genauso wie sie diese Länder direkt durch Handel und Investments die billigen Arbeitskräfte ausnutzen und den Zugang zu Grundstoffe usw. ausbeuten, haben die westlichen EU-Länder (die alle fallende Geburtsraten haben) sie auch benutzt, um ihre eigene heimische Arbeiterschaft wieder aufzustocken.
Dies hat zu einem generellen Zug der Arbeiter nach Westen geführt, – z. B. Arbeiter aus Polen, die nach Deutschland usw. auswandern, um mehr zu verdienen, und dann die Arbeiter aus der Ukraine, die in Polen für bessere Löhne als bei ihnen zu Hause die ausgewanderten heimischen Arbeitskräfte ersetzen.
Über Jahrhunderte hinweg haben verschiedene Großmächte (das Kaisertum Österreich, das Osmanische Reich, das Russiche Kaiserreich und Deutschland) diese Gruppe von Ländern von der Ostsee über den Balkan zum Schwarzen Meer zerstückelt, in ihrem Kampf darum. Einige davon (die Slowakei, Slowenien, Moldawien, Belarus und die Ukraine) hatten bis in die 1990er-Jahre kaum als unabhängige Staaten existiert. Lediglich Polen und Ungarn waren zuvor bedeutende Königreiche gewesen, und das war vor langer Zeit. Im Vergleich zum restlichen Westeuropa hat diese Geschichte in unterschiedlichem Ausmaß ihre wirtschaftliche Entwicklung zurückgehalten und ihre Formierung zu Nationalstaaten verzerrt.
Sehr oft hat dies auch ihre kulturelle Entwicklung aufgehalten und ihre Sprachen wurden marginalisiert oder unterdrückt. Ein Resultat dieser Geschichte ist die Präsenz in vieler dieser Länder lang-bestehender und recht großer „Nachbarland“-Minderheiten: Ungarn in der Slowakei und Rumänien, Bulgaren in Rumänien, Polen in Lettland usw.
Die Ukraine und Belarus gehörten bis zum 18. Jahrhundert zu Polen, als Russland Belarus übernahm und die Ukraine zwischen Österreich und Russland aufgeteilt wurde. Der westliche Teil der Ukraine wurde vom neuen Polen, dass aus dem Ersten Weltkrieg hervorging, wiedererobern.
Die Zaren Russlands verfolgten die Russifizierung beider Länder. Trotzki selbst, der ja Sohn ukrainischer jüdischer Bauern war, beschrieb die Lage in der Ukraine und Belarus zur Zeit der Oktoberrevolution:
In der Ukraine und in Weißrußland waren Gutsbesitzer, Kapitalist, Advokat, Journalist – Großrusse, Pole, Jude, Ausländer; die Landbevölkerung hingegen bestand durchweg aus Ukrainern und Weißrussen. … unzertrennlich verbunden mit den herrschenden Klassen des gesamten Landes, gruppierten Gutsbesitzer, Industrielle und Kaufleute in den Randgebieten um sich einen kleinen Kreis aus russischen Beamten, Angestellten, Lehrern, Ärzten, Advokaten, Journalisten, teils auch Arbeitern und verwandelten die Städte in Herde der Russifizierung und Kolonisierung.
… die ukrainische Bauernschaft hatte in der Vergangenheit aus dem Grunde nationale Forderungen nicht erhoben, aus dem sie sich überhaupt nicht bis zur Politik erhoben hatte. Das Hauptverdienst der Februarumwälzung [5] …bestand gerade darin, daß es den unterdrücktesten Klassen und Nationalitäten Rußlands endlich die Möglichkeit gegeben hatte, laut ihre Stimme zu erheben. Das politische Erwachen der Bauernschaft konnte aber, nicht anders vor sich gehen als vermittels der eigenen Sprache mit allen sich daraus ergebenden Folgerungen in bezug auf Schule, Gericht, Selbstverwaltung. Sich dem zu widersetzen, hätte den Versuch bedeutet, die Bauernschaft in das Nichtsein zurückzustoßen.
L D Trotzki Geschichte der Russischen Revolution (1930), Band 2, Kapitel 16: Die nationale Frage.
Basierend darauf verlangten die Bolschewiken unter der Leitung Lenins und Trotzkis das Recht zur Selbstbestimmung für die unterdrückten Nationalitäten im russischen Reich.
Die Rechte kleinerer Nationen in der UdSSR waren unterdrückt, aber unter Stalins bürokratischer Herrschaft wurde die Ukraine noch viel stärker getroffen, durch seinen aufgezwungenen Kollektivismus der Bauernschaft und von einer verheerenden Hungersnot in den 1930ern, als geschätzte drei Millionen Ukrainer ihr Leben verloren. Viele der russischsprachigen Einwohner in den prorussischen Separationsregionen Donezk und Lugansk (ehemalige Zentren der Schwerindustrie) sind Nachkommen der Arbeiter, die dorthin gebracht wurden, um die Arbeiterschaft wiederaufzubauen.
Basierend auf dieser Vergangenheit forderte Trotzki in den 1930ern das Recht der Ukraine, sich von der Sowjetunion als unabhängige Sozialistische Sowjetrepublik loszulösen.
Wenn Putin sagt, dass Russen und Ukrainer „Ein Volk“ sind und die Ukraine „kein Land ist“, folgt er dem Beispiel der Imperatoren, die sich selbst als „Zaren aller Russen“ bezeichneten (dieselben, die den Gebrauch von Ukrainisch in Schulen und Veröffentlichungen verbaten). Er verwertet einen historischen Mythos, der vom Zarentum des 18. Jahrhunderts ins Leben gerufen wurde, wieder.
Ukrainisch wird derzeit von knapp mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung des Landes gesprochen. Russisch wird von fast 30 % gesprochen, aber dazu gehören auch viele, die sich selbst als russischsprechende UkrainerInnen sehen und nicht als Russen. Neben der Krim gibt es nur wenige Bezirke, wo mehr als die Hälfte der Bewohner Russisch als ihre erste Sprache angeben, und diese befinden sich fast alle nahe der östlichen Grenze der Ukraine zu Russland. Die Ukraine ist ein unterdrücktes Land mit all den Problemen, die dazugehören. Es war und ist immer noch von Russland unterdrückt. Die Frage der Selbstbestimmung und Autonomie der Regionen und Minderheiten können nur aufgrund des Rechtes zur Unabhängigkeit der Ukraine als unterdrückte Nation gelöst werden, und nicht durch das Austauschen der Unterdrücker. Die Unabhängigkeit der Ukraine kann tatsächlich nur von einem unabhängigen Kampf der ukrainischen Arbeiterschicht, Armen und unterdrückten Volksmassen erlangt werden und nicht von irgendeiner korrumpierten elitären Gruppe, weder Russland-freundlich noch West-freundlich.
Krieg oder Revolution: Der wahre Feind ist unsere eigene herrschende Klasse
Die Vorstellung, dass entweder Russland oder die USA und NATO sich für einen Krieg um historische und sprachliche Fragen der ukrainischen Identität vorbereiten, ist absurd. Auf beiden Seiten steht die Vormacht zwischen den beiden gegnerischen Imperialblöcken auf dem Spiel. Egal welcher Block als überlegen hervorgeht oder der Konflikt sich einfach ständig weiterzieht, eines ist klar: Die Spaltung der Ukraine wird immer tiefer und schmerzlicher.
Die USA haben die Urkaine mit Waffen und Munition ausgerüstet und dabei 5,4 Milliarden Dollar in die Stärkung der Urkainischen truppen investiert.
Sollte die Ukraine Teil der NATO und/oder der EU werden, würde sie in die Fußstapfen der von den West-Imperialisten unterdrückten Länder treten. Das wäre höchstwahrscheinlich nicht so grausam wie eine Eroberung durch Russland, und es würde eine kleine Elite ukrainischer Kapitalisten und Politiker (also im Grunde die Leute, die gerade an der Macht sind), bereichern. Sie wären aber nicht weniger korrupt oder reaktionär. Die Ukraine wäre das ärmste und wahrscheinlichste unstabilste Land der EU.
Die Ukraine kann nicht durch den Krieg zwischen zwei Gruppen von Imperialisten befreit werden. Alle Menschen und Organisationen weltweit, die gegen das Wiederaufleben von Faschismus, Autoritarismus und Militarismus kämpfen, sollen sich weder auf die eine noch die andere Seite der Imperialisten stellen. Dasselbe gilt für alle, die Armut und Rassismus bekämpfen und sich für die Rechte der Flüchtlinge und Einwanderer einsetzen; wir müssen uns beiden Seiten widersetzen.
Ein Krieg zwischen den Imperialisten bedeutet unvermeidlich mehr Autoritarismus, mehr Rassismus und Armut und eine viel größere Anzahl von Flüchtlingen, die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen. Die Imperialisten–, insbesondere die Europa und USA und Politiker in den von ihnen abhängigen Ländern (z. B. Griechenland, Ungarn, Polen, Mexiko) – werden dann zunehmend unmenschliche und tödliche Maßnahmen ergreifen, um diese Flüchtlinge abzuweisen. Dieser Vorgang hat schon begonnen.
Für jene von uns, die in diesen Imperialisten-Ländern leben wäre es eine bedetungslose Ausflucht jeden Imperialismus als einen und denselben zu missbilligen. Wir müssen uns in unseren Aktionen, Parolen und Forderungen den Imperialisten in unserem Land widersetzen, unserer herschenden Klasse und Politkern, denn unser größter Feind findet sich hier bei uns zu Hause.
Für jene von uns, die in diesen Imperialisten-Ländern leben, wäre es eine bedeutungslose Ausflucht, jeden Imperialismus als einen und denselben zu missbilligen. Wir müssen uns in unseren Aktionen, Parolen und Forderungen den Imperialisten in unserem Land widersetzen, unserer herrschenden Klasse und Politkern, denn unser größter Feind findet sich hier bei uns zu Hause.
- Alle sozialistischen, revolutionären und progressiven Truppen in den USA oder anderen imperialistischen Ländern des Westens müssen sich gegen einen Krieg gegen Russland oder jeglichen militärischen Eingriffen (z. B. eine Verlagerung der Truppen und Aufrüstung an die russische Grenze und in die Ostsee und das Schwarze Meer) auflehnen und solche verurteilen. Damit ist auch der Widerstand gegen die Bewaffnung und Finanzierung der ukrainischen Militärs und der Sanktionen gegen Russland gemeint sowie die Forderung des Rückzugs aller unserer bewaffneten Truppen aus dem Nahen Osten, Afrika usw.
- Alle sozialistischen, revolutionären und progressiven Truppen in Russland müssen die Bedrohung, die ihr Land für die Ukraine darstellt, ablehnen, alles Mögliche gegen eine russische Invasion des Landes unternehmen und die Unabhängigkeit der Ukraine unterstützen.
- Alle sozialistischen, revolutionären und progressiven Truppen in China müssen sich gegen die imperialistischen Ambitionen ihrer Herrscher und Kapitalisten, deren chauvinistischen Unterdrückung nationaler und religiöser Minderheiten und einer forcierten „Wiedervereinigung“ mit Taiwan auflehnen.
- Alle sozialistischen, revolutionären und progressiven Truppen aller imperialistischen Länder – vor allem in Westeuropa und Nordamerika – müssen sich mit Flüchtlingen und Einwanderern vereinen, um Grenzen zu öffnen, das Recht auf Asyl zu verteidigen und gegen Rassismus zu kämpfen, mit allen notwendigen Mitteln. Die Alternative dazu ist eine barbarische Welt der Tyrannei. Im Falle eines neuen Kriegs zwischen den Imperialisten kommt es zu einem neuen Holocaust.
Kein einziges imperialistisches Land bleibt im Moment von ernsthafter politischer, wirtschaftlicher und finanzieller Krise verschont. Es gibt keine einzige imperialistische Regierung, die nicht von Milliarden von armen und unterdrückten Menschen in den neokolonialen Ländern gehasst wird. Sie können sich der Verantwortung aller wesentlicher Probleme der gegenwärtigen Menschheit nicht entziehen, noch können sie diese lösen.
Die Welt befindet sich in Gefahr eines neuen imperialistischen Weltkrieges wegen der schieren Eskalation der Kapitalismus-Krise, genauso wie sie sich auch in der Gefahr einer tödlichen Klimakrise und neuer Pandemien befindet.
Trotzkis Worte von 1938 klingen nun zutreffender als je zuvor:
Ohne sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht die ganze menschliche Kultur in einer Katastrophe unterzugehen. Alles hängt ab vom Proletariat, d. h. in erster Linie von seiner revolutionären Vorhut. Die historische Krise der Menschheit ist zurückzuführen auf die Krise der revolutionären Führung.
L D Trotsky, Das Übergangsprogramm, Teil 1, 1938
Postskriptum
Ein Jahr nachdem Trotzki diese Worte geschrieben hatte, brach der Zweite Weltkrieg aus. Dieser Krieg war ein wahrhaftiger „Welt“-Krieg, anders als der grundsätzlich europäische Krieg von 1914-1918. Dieser Krieg brachte viel größeren Zivilisten-Mord und führte letztendlich zum systematischen Völkermord durch die Nazis im Holocaust. Eine einzige Supermacht trat daraus unversehrt hervor, die USA. Ihre enormen finanziellen Mittel erlaubten dem Land, sich wieder zu festigen und die Wirtschaften der anderen imperialistischen Mächte wiederherzustellen, natürlich unter der Hegemonie der USA.
Währen der 1950er und -60er lebt der Kapitalismus ein kurzes „Goldenes Zeitalter“ mit relativ hohem Wachstum aus, jedoch in einem eher begrenztem geografischen Gebiet. Die Sowjetunion übernahm die Mehrheit der verarmten Länder Osteuropas, um einen Puffer zu schaffen, und in China ergriff die Kommunistische Partei die Macht. In diesen Gebieten wurde der Kapitalismus vorläufig durch Staatseigentum unter Stalin ersetzt, angeblich um neben den viel reicheren kapitalistischen Mächten endlos zu bestehen.
Dies überlebte das Ende der westlichen Goldenen Zeitalter der Imperialisten und deren Wende zu „neoliberalen“ wirtschaftlichen Programmen, vor allem während 1979-80 nicht lange mit gezielten Angriffen auf die Arbeiterklasse und noch heftigerer Ausbeutung der Neokolonien.
Von 1989-91 zerfiel die Sowjetunion und der Kapitalismus wurde von Osteuropa bis in den Fernen Osten wiederhergestellt. Währen der kommenden zwei Jahrzehnte stiegen zwischen-imperialistische Rivalitäten durch den Aufstieg Zweier neuer kapitalistischer imperialistischer Mächte, China und Russland, und so begann eine neue Kriegsära.
Die „einzelnen Konflikte und blutigen Explosionen“ der letzten drei Jahrzehnte waren bei Weitem blutiger und anhaltender als jene, von denen Trotzki vor dem Zweiten Weltkrieg sprach. Und die waren ihrerseits größer als jene, die Rosa Luxemburg vor dem Ersten Weltkrieg beschrieb.
Und so haben die Jahrzehnte seit dem Zweiten Weltkrieg den wieder auflebenden Todeskampf des Kapitalismus noch verschärft, die Gefahr eines Weltkrieges – und somit eines Atomkrieges – viel näher gebracht und somit die Notwendigkeit einer revolutionären Führung noch viel dringlicher gemacht.
Trotzkisten wollen in ihrer Rolle als Weiterführer revolutionärer marxistischer Politik, internationaler Führung und Aktion aufbauen, gegen jegliche imperialistische Kriegsplanung und imperialistische Herrschaft auf der ganzen Welt zu beenden.
[1] http://en.kremlin.ru/supplement/5770
[2] https://www.theguardian.com/business/2022/jan/21/imf-warns-china-over-cost-of-covid-lockdowns
[3] https://internationalviewpoint.org/spip.php?article7468
[4] Taiwan hat eine Chinese Bevölkerung und wurde 1894/95 von Japan beschlagnahmt. NAch dem Zweiten Weltkrieg kam die Kommunistische Partei auf dem Festland Chinas an die Macht, und die prokapitalistische Regierung des Generals Chiang Kai-shek versetzte sich nach Taiwan, wo es von US Truppen geschützt wurde.
[5] Die Arbeiter- und Soldatenrevolution, die Anfang 1917 den Zar stürzte und Russland zur Republik machte.